Orgel: Salzatal / Schochwitz-Wils – Dorfkirche
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Viele Instrumente verließen die Orgelbauwerkstatt in Zörbig. Das Werk in Wils gehört durch seinen raumfüllenden Aufbau, der die gesamte Orgelempore ausnutzt, nach Meinung des Autors zu den Interessantesten dieses Orgelbauers und vermittelte einen wertvollen Eindruck über die kirchenmusikalische Gestaltung in kleinen Dorfkirchen. Leider ist das Instrument nur noch eine Ruine, die zudem durch das Absenken der Orgelempore auf der Südseite empfindlich bedroht wird. Die kleine Orgel sollte unbedingt gerettet werden!
Gebäude oder Kirche
DorfkircheKonfession
EvangelischOrt
Salztal / WilsPostleitzahl
06198Bundesland / Kanton
Sachsen-AnhaltLand
DeutschlandBildergalerie + Videos
Orgelgeschichte
vor 1872 ist vermutlich kein Instrument in der Kirche vorhanden.
1872 Anschaffung einer gebrauchten Orgel von Friedrich Ladegast/Weißenfels für 80 Thaler, dieses Instrument wurde durch einen Orgelbauer aus Halle (Bennemann oder Wäldner) wieder hergestellt. Infrage kommen hierzu Op.2 (1838, Aufstellungsort Halle, 3 Register, steht vermutlich aber noch in Halle stehend, daher eher unwahrscheinlich), Op.9 (1851, Stubenorgel Weißenfels mit 3 Registern, Verbleib unklar), sowie Op. 11 (Weißenfels Freimauerloge, 4 Register, Verbleib unklar) und Op.25 (Weißenfels, Präparandenanstalt, 3 Register, Verbleib unklar). Mehr als 4 Register kann das Werk nicht gehabt haben. Am Ehesten kommen die Stubenorgel (evtl. nach Tod des Besitzers?) und die Orgel der Präparandenanstalt infrage. Genauere Fakten bleiben momentan im Dunklen.
1910 Neubau durch Wilhelm Rühlmann sen./Zörbig als Op.323, seitenspielige pneumatische Kastenladenorgel II/6- Der Prospekt, bestehend aus 25 Pfeifen, war durchgehend klingend mit Pfeifen des Principal 8′ besetzt, welche von der Windlade abkonduktiert wurden.
1917 Abgabe der Prospektpfeifen zu Rüstungszwecken.
um 1920 Einbau von Zinkpfeifen in den Prospekt.
1934 erhält das Orgelgehäuse eine neue Farbfassung
um 1975 wird die Orgel nicht mehr genutzt. Das Pfeifenwerk wird später demontiert und verschwindet. Die Demontage geschah augenscheinlich behutsam und fachgerecht.
2023 Windladen, Prospektfront und Balg samt Handschwengel sowie Spieltisch ohne Pedal, Registerschilder und Firmenschild sind noch vorhanden. Das Instrument ist durch die absinkende Empore akut bedroht und nur noch eine Ruine.
Die kleine Rühlmann-Orgel in Wils umfasste einst gerade einmal sechs Stimmen, die auf zwei Manuale und das Pedal aufgeteilt waren. Das Vorgängerinstrument war vermutlich ein frühes Werk von Friedrich Ladegast, welches er 1839 mit drei Registern für Halle (Saale) – leider ohne genauer bezeichneten Aufstellungsort – schuf. Drei Register sind für die Größe der Kirche und vor allem die Größe einer Empore wie in Wils durchaus ausreichend. Was nach 1891 mit dem Ladegastschen Werk passierte, ist nicht bekannt. Das 1910 errichtete Werk von Rühlmann nutzt die Platzverhältnisse auf der engen Empore vollständig aus. Man betritt die Empore durch eine Tür im ersten Turmgeschoss, wobei der Spieler auf seinem Weg zum Spieltisch quasi durch die Orgel gehen musste (siehe Fotos, die z.T. aus dieser Tür blickend angefertigt wurden). Auch der Kalkant hatte seinen Platz in dieser Türöffnung und bediente von hier aus per Handschwengel bzw. -hebel den Schöpfer für den links neben der Orgel auf der Empore stehenden Doppelfaltenmagazinbalg. Der Spieltisch befindet sich von hinten gesehen rechts am Gehäuse. Die durch Pilaster gegliederten Spitzbogenfelder des Prospektes waren einst mit 25 klingenden, von der Windlade abkonduktierten Pfeifen des Principal 8′ versehen. Hinter der Prospektfassade stand die Windlade des ersten Manuals. Ebenerdig auf dem Emporenboden befand sich die Pedallade mit Subbass 16′ (durchweg eigene Pfeifen, in zwei Reihen angeordnet). Links neben der Tür zur Orgelempore steht die Windlade des zweiten Manuals, dessen zwei Register hier ebenfalls in zwei Reihen standen. So ist quasi die gesamte Orgelempore durch die Orgel besetzt.
Der heutige Zustand ist mehr als bedauernswert – die Bilder mögen für sich sprechen. Sämtliches Pfeifenwerk ist verschwunden. Die Windladen, der Magazinbalg samt Schöpfer und Handschwengel sowie der Spieltisch sind grundsätzlich erhalten, aber stark verschmutzt und teilweise beschädigt. Vom Gehäuse ist nur die Front erhalten, die Seitenteile, auf alten Fotos noch schwach erkennbar, sind ebenso verschwunden wie die Pedalklaviatur und alle am Spieltisch angebrachten Beschriftungen (Firmenschild, Registerschilder, Manualzuordnungen). Dort, wo das Firmenschild sich einst befand, ist „1910 erbaut“ ins Holz geritzt. Zusätzlich wird die Orgel durch das undichte Dach und die marode Kirchendecke bedroht. Die größte Gefahr ist jedoch das rechtsseitig beginnende Absinken der Orgelempore aufgrund von morschen Balken und der zusätzlichen Belastung durch herabfallende Deckenteile – stellenweise liegt der Höhenunterschied bei gut 10cm und der Boden wird zunehmend löchrig. Dieser Zustand ist die vermutlich größte Gefährdung für eins der nach Meinung des Autors interessantesten, wenn auch nicht größten Instrumente der Firma Rühlmann, auch wenn diese Orgel wohl unzweifelhaft dem endgültigen Untergang anheim gefallen ist.
Disposition
Disposition anhand von Aufschriften im Werk
Manual I – Hauptwerk C-f“‘Principal 8′ (25 Töne im Prospekt, abkonduktiert) Flauto amab. 8′ Fugara 4′ |
Manual II – Hinterwerk C-f“‘Liebl. Gedackt 8′ Aeoline 8′ |
Pedal C-d‘Subbass 16′ (durchweg eigenständig, keine Verlängerung!) |
Spielhilfen
Als Registerschalter ganz rechts: Calcant
Als Registerschalter mittig rechts: Manualcoppel II-I, Pedalkoppel z.M.I, Pedalkoppel z.M.II, Oberoctavkoppel [II/I?]
Gebäude oder Kirchengeschichte
1534 ist eine Kapelle als Filiale der Patronatskirche Schochwitz in Wils vorhanden. Weitere Daten über die Geschichte der Kirche sind derzeit nicht zu finden.
1891 Anbau des heutigen, neogotischen Westturmes aus gelblichen Klinkersteinen im neogotischen Stil, dabei auch neogotische Überformung des restlichen Baukörpers (u.a. Fenster),
Einbau einer neuen Innenausstattung. Neben dem Turm wurden auch Ziergiebel aus Klinkersteinen an Chor und Kirchenschiff angebaut.
1917 Abgabe einer Glocke zu Rüstungszwecken
1934 anlässlich des 400-jährigen Jubiläums der Bibelübersetzung Luthers in die deutsche Sprache erhält die Kirche eine neue Innenausmalung mit Lutherrose an der Kanzel und verschiedenen Bibelworten.
um 1960 erhält die Kirche einen Stromanschluss.
um 1975 die Kirche, nach wie vor Filiale von Schochwitz, wird nicht mehr gottesdienstlich genutzt. Die Innenausstattung wird bis auf Empore, Kanzel und den eisernen Ofen sowie den Altar entfernt.
um 1990 Planungen zur Herrichtung und erneuten Nutzung der Kirche, diese Vorhaben wurden nicht verwirklicht.
2023 die Kirche befindet sich in äußerst desolatem Zustand. Das Dach ist in weiten Teilen undicht, die Balkendecke im Inneren löst sich von den Balken, die Empore neigt sich. Das Gotteshaus wird nicht mehr genutzt und verfällt nach und nach vollständig.
Anfahrt
Quellenangaben
Orgelbeitrag erstellt von: Johannes Richter
Dateien Bilder Kirche und Orgel: Johannes Richter
Orgelgeschichte: Johannes Richter, Sichtung vor Ort, ergänzt durch Informationen aus: W. Stüven – Orgel und Orgelbau im Halleschen Land vor 1800. Breitkopf&Härtel, Wiesbaden 1964 und
Walter Ladegast (Hrsg.) – Friedrich Ladegast. Der Orgelbauer von Weißenfels. Weidling Verlag Stockach am Bodensee, ISBN 3-922095-34-8 (Werkverzeichnis mit Opera)
Kirchengeschichte: Sichtung vor Ort, mündliche Informationen aus dem Pfarramt, ergänzt durch Informationen aus: G. Dehio – Handbuch der Deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt II: Regierungsbezirke Dessau und Halle. Deutscher Kunstverlag Berlin/München, 1999 (Erweiterte Auflage, u.a. von U. Bednarz) sowie: W. Stüven – Orgel und Orgelbau im Halleschen Land vor 1800. Breitkopf&Härtel, Wiesbaden 1964.