Orgel: Petersberg / Wallwitz-Merkewitz – Dorfkirche
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Gebäude oder Kirche
DorfkircheKonfession
EvangelischOrt
Petersberg / Wallwitz-MerkewitzPostleitzahl
06193Bundesland / Kanton
Sachsen-AnhaltLand
DeutschlandBildergalerie + Videos
Orgelgeschichte
1801 erste Erwähnung einer Orgel in der Kirche durch regelmäßige Orgelstimmungen. Das Werk besaß ein Manual und Pedal sowie einen Principal 4′.
1906 Besichtigung der Orgel durch die Firma Rühlmann – Schätzung des Wertes auf 20 Mark.
1912 Gutachten über die Orgel – Datierung auf die Zeit um 1800.
1912 Orgelneubau durch Fleischer & Kindermann Orgelbau-Anstalt Dessau als Opus 35 als vorderspielige pneumatische Orgel II/7 + 1 Register. Das Instrument wurde durch Familie Helbig aus Halle/Saale gestiftet, darauf verweist eine Plakette am Spieltisch.
1917 Abgabe der Prospektpfeifen aus Zinn.
Um 1960 Umdisponierung im Sinne des Neobarock. Einsatz diverser Pfeifen aus Zink aus verschiedenen Registerfamilien in den Prospekt, teilweise wurden Pfeifen dabei verändert, Registerschilder wurden teilweise zerkratzt und mit Kugelschreiber neu beschriftet.
Um 2000 Das Instrument ist unspielbar und wird nicht mehr gepflegt.
2012 Reparatur der Orgel durch R. Paul, dabei Versetzung des Balges um eine Etage im Turm nach unten – Überholung des Inneren, neue Farbe für die Prospektpfeifen.
2021 Die Orgel ist nur teilweise spielbar mit starken Fehlern in der Registratur und Spieltraktur.
2023 die Orgel ist nicht mehr spielbar, viele Tasten geben keine Töne mehr von sich. Das gesamte Instrument ist stark verschmutzt.
Der Prospekt der kleinen Fleischer&Kindermann-Orgel in Merkewitz mit seinen drei Feldern und geschwungenen Formen fügt sich harmonisch in das schlichte Innere des Gotteshauses ein. Das mittlere Feld ist leicht vorschwingend gerundet, die anderen beiden Felder fallen harfenartig zur Seite ab. Alle drei Zierfelder besitzen dezentes Gitterwerk mit floralen Verzierungen und dezenter Goldfassung. Das Gesims oben am Prospekt fällt nach außen hin schwingend und gerundet ab. Der Magazinbalg, einst im Turmgeschoss über der Orgel stehend, wurde 2012 hinter die Orgel versetzt – der Motor steht noch immer im oberen Geschoss und versorgt den Balg über PVC-Rohre mit Wind.
Beide Manualwerke besitzen eine gemeinsame pneumatische Lade, die vorne auf Höhe der Prospektöffnungen steht. Vorne stehen die drei Register des „Hauptwerkes“, dahinter die drei Stimmen des Nebenwerkes, hinter dem Stimmgang chromatisch aufgestellt der Subbass. Das Pfeifenwerk der Manuale dagegen ist in C- und Cis-Seite geteilt aufgestellt.
Sämtliche pneumatische Technik befindet sich unterhalb der Windlade. Leider ist das einst grundstimmenbetonte Instrument zu einer Pseudobarockorgel „aufgewertet“ worden. Trotz der starken Ausfälle in der Registratur (die Register des ersten Manuales lassen sich zum Zeitpunkt der Besichtigung gar nicht einschalten, nur über den Tutti-Schalter) und in der Spieltraktur (diverse Tasten vor allem im ersten Manual funktionieren gar nicht mehr) zeigt sich ein spitzer, recht schriller Klang, der von den Resten einer romantischen Feinheit gekennzeichnet ist. Dabei zeigt sich vor allem der tragende Principal 8′ bzw. seine Überreste durch die Pfeifen einer Viola 8′, die aus einer unbekannten Lokalität stammen und in das mittlere Prospektfeld gestellt worden sind – sehr uneinheitlich im Klang, teils tragend, teils streichend und schwächer, im oberen Teil der Klaviatur funktioniert kaum noch eine Taste. Auch die restlichen Prospektpfeifen sind etwas merkwürdig konstruiert, teilweise wurden Fußverlängerungen oder Verlängerungen am Körper der Pfeife angelötet, deutlich sichtbare Nähte künden davon.
Fugara 4′ ist original und von angenehm weichen, mit deutlichem Strich und damit auch Oberton versehenem Klang. Sie war einst als weicher, schwacher Ersatz für die Tuttistimme Octave 4′ gedacht, die in dieser Kirche sicher eine beachtliche und teils unangenehme Lautstärke erreicht hätte, dies zeugt damit von einem guten Verständnis der Erbauerfirma für den Raum. Die Octave 2′ im ersten Manual ist sehr hart und spitz intoniert und mischt sich nicht mit den beiden anderen Registern.
Das zweite Manual enthielt einst Register, die aus einem tragenden Hauptwerk zur Vervielfältigung der Möglichkeiten in ein zweites Manual ausgelagert wurden (Prinzip „geteiltes Hauptwerk“). Heute ist dieses Werk ein etwas merkwürdig anmutendes Positiv mit einem dunkel fülligen Gedackt 8′, einem recht schwachen, hellen Salicet 4′, einstmals ein Salicet 8′ und einer in dieser Klangkonstellation fremdartigen Quinte 1 1/3′, die den Klang flötig und schillernd an die Grenze des Schrillen führt und überhaupt keine sinnvolle Anbindung an den Rest der Register hat. Das Pedal trägt den Klang gut durch den Subbaß, die Transmission des heutigen 4′-Salicets lässt den Pedalklang an sich hohl und eigenartig wirken. Der gesamte Klang der Orgel heute ist uneinheitlich, scharf, spitz, schrill, nicht mischfähig und in der Kirche nicht besonders angenehm. Der frühere Klang mit den vielen 8′-Registern war wesentlich farbiger und besser auf den Raum abgestimmt und dürfte auch mehr Kraft beinhaltet haben.
Der Zustand der heute wieder reinigungsbedürftigen Orgel ist schwer eingeschränkt spielbar. Teilweise sind Pfeifen umgeknickt und verbogen, Bleikondukten der Pneumatik insbesondere des Pedals sind abgerissen. Das Instrument ist verschmutzt und teilweise, vor allem an der Pedallade, durch Holzwurm befallen. Schwere Ausfälle in der Registratur bis hin zur Nichtnutzbarkeit des ersten Manuales sind festzustellen, nur mit dem Tutti-Schalter funktionieren dessen Register noch. Dazu kommen schwere technische Einschränkungen in der Spieltraktur, diverse Tasten im ersten Manual sind nicht spielbar, geben keinen Ton, Tasten im zweiten Manual hängen aneinander, klemmen und bleiben unten liegen. Auch im Pedal sind diverse Tasten stumm. Der Magazinbalg ist vollständig dicht – Heuler oder Durchstecher sind auch nach den vergangenen Sommern nicht feststellbar.
Die Barockisierung erfolgte am Spieltisch rigoros und gut erkennbar: Bei zwei Registern wurde auf dem originalen Schild mit Goldrand die Fußzahl abgekratzt und mit Kugelschreiber neu geschrieben (Salicet/Salicetbass). Das Registerschild der Quinte 1 1/3′ gibt mit seiner Beschriftung „11-3“ Rätsel auf, da kein dem Autor bekannter Orgelbauer diese kryptische Art der Beschriftung wählte. Zudem ist die Schrift geringfügig anders gehalten und in einem anderen Blauton. Das Registerschild des Principal 2′ im ersten Manual ist auch in anderer Schriftart beschriftet, hat aber immerhin einen originalgetreuen Goldrand. Es wäre zu wünschen, dass der strahlend geschwungene Prospekt in seiner edlen Schlichtheit wieder den Klang in denn Kirchenraum entlassen darf, den er verspricht, auch wenn dies gegenwärtig in weiter Ferne zu liegen scheint.
Disposition
Disposition 2021
Manual I – Hauptwerk C – f“‘Principal 8′ (C-H Holz, gedeckt, innen, ab c° teilw. Prospekt mit Zinkpfeifen einer ehem. Viola) Fugara 4′ (durchg. Zinn) Principal 2′ (durchg. Metall) |
Manual II – Nebenwerk C – f“‘Liebl. Gedackt 8′ (C-f“ Holz, gedeckt, ab f#“ Zinn, gedeckt) Salicet 4’* (C-D# Holz, gedeckt, E offen, Zinn, ab f“ konisch) Quinte 11-3 [sic!] (durchg. Zinn) |
Pedal C – d‘Subbass 16′ (Holz, gedeckt) Salicet-bass 4′ (Tr.II)* |
*Registerschilder mit Kugelschreiber überschrieben
Originale Disposition 1912
Manual I – Hauptwerk C – f“‘Principal 8′ Hohlflöte 8′ Fugara 4′
|
Manual II – Nebenwerk C – f“‘Liebl. Gedackt 8′ Salicet 8′ Flauto amabile 4′
|
Pedal C – d‘Subbass 16′ Salicet-bass 8′ (Tr.II) |
Spielhilfen
Als Registerschalter mittig, beschriftet in rot: Manual-Coppel [II/I], Pedal-Coppel I[/P], Pedal-Coppel II[/P], Sub-octav-Coppel II zu I, Super-octav-Coppel im I.M.
Als Registerschalter ganz rechts: Volles Werk [Tutti], Calcant
Gebäude oder Kirchengeschichte
Um 1000 Kirchengründung als Filiale von Sylbitz zu Missionszwecken.
13. Jahrhundert Errichtung eines Steinbaus mit rechteckigem Chorabschluss und Westquerturm.
15. Jahrhundert: Verlängerung der Kirche, Anbau eines dreiseitigen flachen Chorabschlusses – ein Absatz im Mauerwerk verweist darauf.
1708 Guss zweier Glocken durch Peter Becker (Halle).
1717 erstmalige Erwähnung der Kirche als Filiale von Wallwitz.
1917 Abgabe einer Glocke zu Rüstungszwecken.
1925 Guss einer neuen Glocke durch Ulrich&Weule (Apolda-Bockenem) aus Eisenhartguss, sie ist heute starr aufgehängt.
Ab 1970 Verschlechterung des Zustandes des Gebäudes.
Nach 1990 Sicherung der Kirche und der Bausubstanz.
2012 Einbau neuer Lampen im Kirchenschiff, neue Farbfassung der Wand und Aufhängung des neuen Altarkreuzes.
2020 – 2021 Sanierung der Außenhülle, Verputzung des Äußeren mit neuer, beiger Farbfassung, Aufbringung neuer Dachziegel (siehe Bilder alt/neu).
Die kleine Dorfkirche von Merkewitz ist an einer Kurve der Dorfstraße auf einer Anhöhe malerisch gelegen und erstrahlt heute wieder in neuem, frischen Verputz. Die kleine Kirche zeigt sich als typisches Gotteshaus des Saalekreises mit einschiffigem Kirchsaal samt dreiseitigem abgeflachten und fensterlosen Chorabschluss, sowie breitem Westquerturm mit romanischen Schallarkaden an den Seiten und spitzbogigen, recht grob gefertigten Maueröffnungen nach Westen und Osten. Der Kirchturm besitzt ein Satteldach. Die Fenster des Kirchenschiffes sind halbbogig ausgeführt. Auf der Südseite finden sich derer vier,
aus der Barockzeiten stammend. Auf der Nordseite dagegen nur zwei, die dagegen romanischen Ursprungs sind.
Ein Mauerabsatz zwischen den zwei am Turm gelegenen und den zwei am Chor befindlichen Fenstern an der Südwand zeigt, dass das Bauwerk einst einen geraden Abschluss und einen sehr kurzen Kirchsaal besaß, so wie er heute in Braschwitz oder Plößnitz noch sicht- und erlebbar ist – danach folgte die Verlängerung des Raumes. Das Innere zeigt sich sehr schlicht, weiß gefärbt, freundlich und sehr schmucklos. Eine hellblau gefärbte Holztonne mit quer eingespannten Ankern überwölbt den Raum. Der Blick des Betrachters, der erst durch eine in den 60er Jahren eingebaute und sehr geräumige Winterkirche schreiten muss, fällt sofort auf ein über dem Altar aufgehängtes, griechisches Kreuz mit feiner Goldmusterung. Der Altar selbst ist ein schlichter Steinquader. An der Nordwand befindet sich ein großes, mit Filialen, einem Spitzbogen und zwei Wappen reich verziertes gotisches Sakramentshäuschen. Ihm gegenüber ist ein mächtiges, ehemals aus dem Mansfeldischen stammendes gotisches, lebensgroßes Kruzifix aufgehängt. Das Taufbecken in seiner merkwürdig gestreckten und doch etwas plumpen Kelchform aus Sandstein entstammt der Zeit um 1600. Sein Fuß ist achteckig und sehr breit – das Becken selbst kelchförmig und mit farbig gefassten Zierfeldern versehen. Das Becken hat eine beträchtliche Höhe, fast 1,4m!
Unter der Empore, diese in „optisch unangenehmer Art“ noch 1,5m überragend, befindet sich die Winterkirche, die den Raum optisch deutlich „kürzer“ macht, da sie so weit unter der Empore vorgezogen ist. Der Prospekt selbst in seinen schlicht, geschwungenen Formen ist in der Kirche ein wirkungsvoller Akzent. Der ganze Kirchenraum ist edel, schlicht, auf Wort und Musik reduziert – dabei überaus erhaben und eindrucksvoll.
Anfahrt
Quellenangaben
Orgelbeitrag erstellt von: Johannes Richter
Dateien Bilder Kirche und Orgel: Johannes Richter
Orgelgeschichte: Johannes Richter – eigene Sichtung, ergänzt durch Informationen aus: W. Stüven – Orgel und Orgelbau im Halleschen
Land vor 1800, Breitkopf&Härtel, Wiesbaden 1964.
Kirchengeschichte: Johannes Richter, ergänzt durch Informationen von D. Joram
Glockenvideo von Johannes Richter auf dem Youtube-Kanal JRorgel