Orgel: Petersberg / Ostrau-Werderthau – Dorfkirche
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Die wertvolle Orgel in Werderthau ist ein bedeutendes Zeugnis spätbarocken bzw. klassizistischen Orgelbaus im Saalekreis. Nur wenige Instrumente ihres Erbauers Krug sind erhalten. Das Instrument benötigt eine dringende Aufarbeitung.
Gebäude oder Kirche
DorfkircheKonfession
konfessionslos (evangelisch)Ort
Petersberg / Ostrau-WerderthauPostleitzahl
06193Bundesland / Kanton
Sachsen-AnhaltLand
DeutschlandBildergalerie + Videos
JRorgel: Petersberg/Ostrau-Werderthau (D-ST) – ehem. ev. Kirche – Vollgeläut (Turmaufnahme)
Bildrechte: Datenschutz
Orgelgeschichte
1805 ist keine Orgel vorhanden. Die Kirchenrechnungen weisen keine Orgel oder Zahlungen im Zusammenhang mit einer Orgel nach.
1806 Beginn einer Spendensammlung für eine neue Orgel.
1806/07 Neubau einer vorderspieligen mechanischen Schleifladenorgel II/17 durch Johann Gottfried Krug/Merseburg. Die Orgel besitzt ein klassizistisches Gehäuse mit Segmentbögen und vergoldetem Schleierwerk sowie Pilastern mit ionischen Kapitellen.
Um 1870 Umbau mit Dispositionsänderung – Einbau einer Flöte 4′ mit halbrunden Labien und einer Gambe 8′, dazu Pfeifen mit „G.P.“ (Geigenprincipal?) und „L.G.“ (Lieblich Gedeckt?). Für diesen Umbau kommen Schrickel/Eilenburg, Offenhauer/Delitzsch oder E. Bennemann/Halle.
1917 Abgabe der Prospektpfeifen aus Zinn zu Kriegszwecken, Einbau eines Doppelfaltenmagazinbalges.
1920er Jahre Einbau von Zinkpfeifen in den Prospekt durch Rühlmann/Zörbig.
1954 Überholung der Orgel, Schätzung auf ca. 150 Jahre – abgeschnittene Pfeifen der Gambe 8′ auf 2 2/3′-Länge lassen eine nochmalige Umdisponierung vermuten.
Um 1980 die Orgel ist aufgrund des schlechten Zustandes der Kirche nicht mehr spielbar.
Um 1990 Schäden an der Orgel durch teilweisen Einsturz des Daches.
1998 Abbau und Auslagerung der Orgel.
2022 die Orgel ist ausgelagert, ein Doppelfaltenmagazinbalg steht noch im Turmraum der Kirche.
Anmerkungen zur Orgel und zur Rekonstruktion der Disposition
Die Orgel ist derzeit an einem gesicherten Ort eingelagert. Vorhanden sind große Teile des Pfeifenwerkes, vor allem Holzpfeifen, dazu weite Teile des Prospektes (Schleierwerk, florale Verzierungen, Pilaster mit Kanneluren und ionischen Kapitellen), der Klaviaturblock mit abgerissenen Abstrakten, Registerschwerter, Wellen der Wellenbretter mit Döckchen, Registerstaffeleien mit 17 gedrechselten Zügen mit Manubrien und quadratischen Zugstangen, Winkelbalken des Pedals und Trakturrahmen des Pedalwerkes sowie 4 Registerschilder aus Porzellan. Einige Pfeifenstöcke mit Rasterbrettern sind vorhanden. Die zwei Windladen der Manualwerke, eine mit 12 und eine mit 13 Schleifen in diatonischer Aufteilung, sind erhalten, ebenso die Windlade des Pedals mit 4 Schleifen. Die Manualwindladen zeigen eindeutige Bohrungen für Prospektstöcke. Die Spunde sind geschraubt. Der Doppelfaltenmagazinbalg ist im Turmraum der Kirche erhalten, Teile der Kanalanlage ebenso.
Pfeifenwerk
Das vorhandene Pfeifenwerk wiest Spuren mehrfacher Umbauten auf, die unterschiedlichen Orgelbauern in der Zeit um 1870 und um 1954 zugeordnet werden können. Eine Flöte 4′ mit geschraubten Vorschlägen und halbrunden Labien hat Krug nie gebaut. Diese Bauform ist erst ab 1830 im Umfeld von Schulze und Strobel zu finden. Rühlmann und Wäldner bauten diese Pfeifenform nie – vermutlich ist diese Flöte Eduard Offenhauer/Delitzsch, Nicolaus Schrickel/Eilenburg, E. Bennemann/Halle oder Christian Schernitz/Schkeuditz zuzuordnen. Die Labien sind hier innenliegend. Einige Pfeifen, die den Tonbuchstaben nach aus der großen Oktave stammen, sind aus Holz und gedeckt gebaut, weisen die Beschriftung „G.P.“ auf. Diese Beschriftung dürfte auf das Register „Geigenprincipal“ hindeuten, welches später hinzugefügt worden sein dürfte. Einige Holzpfeifen zeigen die Beschriftung „L.G.“ für Lieblich Gedackt – eventuell eine Umbenennung vorhandenen Materials. Die Gambe wurde um 1870 aus Zinn mit Intonierhilfen erbaut. Die Pfeifen wurden um 1954 auf 2 2/3′-Länge abgeschnitten, wie die geraden Abschlüsse ohne Stimmschlitze der Pfeifen belegen. Die Prospektpfeifen bestanden zum Zeitpunkt des Abbaus aus Zink, teilweise gekröpft. Sie stammen aus der Werkstatt Rühlmann. Die größte Pfeife aus dem Prospekt, die aufgefunden wurde, trägt die Tonbezeichnung E. Im Prospekt standen den Bezeichnungen nach die Register Principal 4′ und Octave 2′. Gestützt wird diese These dadurch, dass alle Pfeifen dieser Bauart rückseitige Haften und Überlängen mit Stimmrollen aufweisen. Diese Pfeifen beider Stimmen müssen also im Prospekt gestanden haben. Da die Orgel nur 4′-Höhe gehabt haben kann, war der Violon 16′ großteils gedeckt ausgeführt, ebenso begann der Bordun 16′ erst ab c°. Pfeifenwerk des Violon ist erhalten. Die Mixtur war, wie die Stöcke und Bohrungen auf der Windlade belegen, 2-3fach, das Cornett 3fach im Diskantbereich.
Spieltisch
Der Spieltisch besaß zwei Manuale (C-f“‘, Obertasten Ebenholz, Untertasten mit Knochen belegt – um 1870, Tonumfang original) und ein Pedal C-d‘ (27 Tasten) wie der Winkelbalken des Pedals belegt. Die Registerstaffeleien links und rechts zeigen, dass die Orgel 22 Registerzüge in absoluter Symmetrie (11 links, 11 rechts) besaß. Die Manubrien sind gedrechselt und schwarz gefärbt, die Registerschilder bestanden aus weißem Porzellan. Die Schubstangen haben einen quadratischen Querschnitt. An den Registerstaffeleien ist hinten mit Bleistift an den Öffnungen für die Züge eine Disposition aufgezeichnet, deren Bleistift-Schrift große Ähnlichkeiten zur um 1800 entstandenen Orgel in Großkugel aufweist. Aufgrund der damals noch verwendeten Symmetrien und der Windladenzusammenstellung ist zu erkennen, dass die Registerzüge für Oberwerk und Pedal außen und die des Hauptwerkes innen angebracht waren. Die Spielhilfen waren ganz unten beiderseits angebracht. Daraus und aus den Windladen ist zu schlussfolgern, dass die Orgel 9 Stimmen im Hauptwerk, 4 Stimmen im Oberwerk und 4 Stimmen im Pedal besaß.
Disposition
Die unten dargestellten Dispositionen gründen sich zuerst auf die eben schon genannten Bleistift-Inschriften auf den Rückseiten der Registerstaffeleien. Dort ist die vermutliche Original-Disposition zu sehen. Dazu wurde auch die Anordnung und die Windladen untersucht, weshalb, wie oben bereits gesagt, auf 9 Register im Hauptwerk, 4 Stimmen in Oberwerk und 4 Stimmen im Pedal geschlussfolgert werden kann. 17 Stimmen und 5 Nebenzüge ergibt genau 22 Registerzüge am Spieltisch.
Die Bauformen und Beschriftungen der Flöte 4′ mit halbrunden Labien, die Pfeifen mit „G.P.“ und „L.G.“, die Zink-Prospektpfeifen und die abgeschnittenen Gamben-Pfeifen wiesen auf die Umbauten um 1870 und 1954 hin, welche in zwei gesonderten Dispositionen aufgelistet worden sind. Geigenprincipal und Lieblich Gedackt sowie Gambe 8′ sind Zusätze späterer Zeiten. Das Registerschild „Viola di Gamba 8 Fuß.“ zeigt im Gegensatz zu den anderen erhaltenen Schildern Fraktur- statt Kursivschrift. Aufgrund seiner Position am Spieltisch ist dieses Register dem Hauptwerk zuzuordnen.
Die (vermutlich) originale Disposition weist einige augenscheinliche Besonderheiten auf. Die 8′-Principallage ist bis auf den Principalbass 8′ ausgespart, viele Pfeifen sind gedeckt. Dies ist dadurch zu begründen, dass das Gehäuse nur 4′-Höhe aufwies, weshalb Höhe und Raum gespart werden musste. Dies begründet auch die weitgehend gedeckte Bauweise des Violon. Das Fehlen von Zungenstimmen ist nicht ungewöhnlich für eine Orgel dieser Größe um diese Zeit – die originale Disposition zeigte mit zwei Mixturen und einer ausgeprägten Grundstimmigkeit den ausgehenden mitteldeutschen Barock und die beginnende Romantik. Das Nebeneinander von Gedackt 8′ und Flöte 8′ im Hauptwerk ist in der Region um Halle nicht ungewöhnlich und jahrhundertelang gepflegte Praxis. Bordun 16′ ab c° ist ein Tribut an den Wunsch nach Gravität, wie er u.a. schon von J.S.Bach erhoben wurde. Die Flaut travers 4′ ist im Saalekreis ab 1775 bekannt und wurde meist in 4′-Lage gebaut. Hohlflöte 4′ war vermutlich ein gedecktes Register. Die vorhandenen Pfeifen der 4′-Lage weisen einerseits eine gedeckte Bauform mit außenliegenden Labien und eine offene Bauform mit schmaler Mensur, Stimmblechen und innenliegenden halbrunden Labien auf. Die Pfeifen der Gambe zeigen eindeutige Spuren vom Kürzen bzw. Abschneiden auf 2 2/3′-Länge. Das Fehlen von Aliquoten ist in dieser Zeit nicht unbedingt ungewöhnlich. Auch die vielen 4′-Stimmen sind nicht zwingend seltsam, da hier die Farbigkeit und Lieblichkeit verlangt wurde. Die Kirche in Werderthau wird auch eher kammermusikalische Intonation und Disposition erfordert haben. Die vorhandenen gemischten Stimmen stehen in Rasterbrettern, die mit „Mixtur 3fach Cösseln“ bezeichnet sind. Werderthau gehörte damals zu Cösseln (heute: Kösseln/Fuhne). Allerdings sind diese Stöcke eindeutig einer Rühlmannschen Kastenlade zuzuordnen, sodass sie aus der nicht mehr vollständigen Orgel aus Kösseln stammen müssen. Am Spieltisch ist, passend dazu, eine unleserliche Inschrift, die mit „M“ beginnt, angebracht. Die Pfeifen der Mixtur sind eindeutig als Principale mensuriert. Weiterhin sind Rasterbretter vorhanden, die mit eher flötigen Pfeifen besetzt sind, welche auf das Cornett 3fach hinweisen. Dadurch ist das Nebeneinander von Mixtur und Cornett hier in Werderthau belegt. Das Cornett als Solostimme begann, nach den Windladen zu urteilen, im Diskant. Die Pedaldisposition ist für eine akustisch eher trockene Dorfkirche mit reicher Holzausstattung, die eine starke Basslage erfordert, nicht ungewöhnlich. Subbass 16′, Violon 8′ und Principalbass 8′ sind typisch für die Zeit um 1800, ergänzt durch einen Violon 16′ bei Bedarf. Auch die Krug-Orgel 1784 in Göhritz weist zwei 16′ im Pedal mit 8′-Principal auf, dort ergänzt durch eine Posaune – der Raum in Göhritz ist allerdings deutlich größer und halliger als eine kleine Dorfkirche im Saalekreis, für die 17 Stimmen fast schon überdimensioniert erscheinen. Gravität war also gewünscht. Durch die späteren Umbauten am Pfeifenwerk und die Inschriften an den Orgelteilen lassen sich die unten genannten Dispositionen mit ziemlicher Sicherheit festlegen.
Zustand
Die Orgel ist heute in einem gesicherten, aber bedauerlichen Zustand. Staub, Schmutz und Dreck bedecken die Pfeifen. In der Pedalwindlade bzw. deren Schleifen und an Teilen der Holzpfeifen ist Holzwurmbefall festzustellen. Die Gehäuseteile sind stark verschmutzt, aber erhalten. Die Traktur ist zwar vorhanden, aber großteils beschädigt und zerstört, vor allem die Abstrakten sind zerbrochen. Die Metallpfeifen sind verbogen, zerdrückt und geknickt. Spundgriffe und Spunde der Holzpfeifen sind teilweise zerbrochen und durch Holzwurm beschädigt. Einige Manubrien fehlen, die Klaviaturen sind stark verdreckt. Bis auf vier Stück fehlen alle Registerschilder. Der Zustand ist außerordentlich bedauerlich, immerhin ist die Orgel gesichert und trocken eingelagert.
Disposition
Disposition anhand der Registerstaffeleien (vermutl. original)
Manual I – Hauptwerk C – f“‘Bordun 16′ (ab c°?) Gedackt 8′ Flöte 8′ Principal 4′ (Prospekt) Fl. trav. 4′ Hohlflöte 4′ (gedeckt) Octav 2′ (Prospekt) Mixtur 3fach Cornett 3fach (ab c‘?)
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Manual II – Oberwerk C – f“‘Gedackt 8′ Flöte 4′ Gedackt 4′ Flöte 2′
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Pedal C – d‘Subbass 16′ Violon 16′ Principalbass 8′ Violon 8′
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Disposition mit späteren Veränderungen (Rekonstruktion)
Manual I – Hauptwerk C – f“‘Bordun 16′ (ab c°?) Gedackt 8′ Flöte 8′ Viola di Gamba 8′ Principal 4′ (Prospekt) Fl. trav. 4′ Octav 2′ (Prospekt) Mixtur 3fach Cornett 3fach (ab c‘?)
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Manual II – Oberwerk C – f“‘Geigenprincipal 8′ (neu um 1870) Lieblich Gedackt 8′ Flöte 4′ Gedeckt 4′
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Pedal C – d‘Subbass 16′ Violon 16′ Principalbass 8′ Violon 8′
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Disposition um 1980 nach Pfeifenwerk
Manual I – Hauptwerk C – f“‘Bordun 16′ (ab c°?) Gedackt 8′ Flöte 8′ Principal 4′ (Prospekt) Fl. trav. 4′ Quinte 2 2/3′ (aus Gambe 8′, abgeschnitten) Octav 2′ (Prospekt) Mixtur 3fach Cornett 3fach (ab c‘?)
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Manual II – Oberwerk C – f“‘Geigenprincipal 8′ (neu um 1870) Lieblich Gedackt 8′ Flöte 4′ Gedeckt 4′
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Pedal C – d‘Subbass 16′ Violon 16′ Principalbass 8′ Violon 8′
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Spielhilfen
Angaben nach Registerstaffeleien:
Als Registerzüge links unten: Manualcoppel [II/I], Sperrventil HW, Sperrventil OW
Als Registerzüge rechts unten: Pedalcoppel [I/P], Sperrventil Ped.
Gebäude oder Kirchengeschichte
1505 Guss der großen Glocke (Nominal: fis‘) durch den Halleschen Gießer.
1570 Guss der kleinen Glocke (Nominal: gis‘) durch Eckhart Kucher/Erfurt.
Um 1600 ist eine Kapelle in Werderthau als Filialkirche von Kösseln vorhanden.
18. Jahrhundert Einbau neuer Holzjoche für die Glocken.
Um 1790 die Kapelle ist baufällig.
1802/03 Errichtung einer einschiffigen Saalkirche von repräsentativen Ausmaßen, die Innenausstattung wurde im klassizistischen Stil mit Goldzier und Kanzelaltar mit runden Säulen und floral gestaltetem Kanzelkorb gestaltet.
1901 Neubau des Turmes in der heutigen Gestalt samt Vorhalle.
1936 Erneuerung und Umgestaltung des Inneren, Einbau eines neuen, gusseisernen Glockenstuhls.
1998 Sanierung des Turmes, Abdeckung des Daches und Auslagerung der Ausstattung.
2021 Austausch der Halteeisen an den Glocken.
2022 Kirche ist als dachlose Ruine vorhanden und wird nicht genutzt.
Anfahrt
Quellenangaben
Orgelbeitrag erstellt von: Johannes Richter
Dateien Bilder Kirche und Orgel: Johannes Richter
Orgelgeschichte: Johannes Richter, Sichtung vor Ort und Dokumentation, ergänzt durch Informationen aus: W. Stüven – Orgel und Orgelbau im Halleschen Land vor 1800. Breitkopf&Härtel, Wiesbaden 1964, S. 212.
Kirchengeschichte: Johannes Richter, Sichtung vor Ort, Gespräche mit der Gemeinde und Informationen aus: W. Stüven – Orgel und Orgelbau im Halleschen Land vor 1800. Breitkopf&Härtel, Wiesbaden 1964, S. 212 sowie G. Dehio – Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler. Sachsen-Anhalt II: Regierungsbezirke Dessau und Halle. Erweiterte Auflage 1999, Deutscher Kunstverlag München/Berlin.
Glockenvideo von Johannes Richter auf dem Youtube-Kanal JRorgel