Orgel: Halle (Saale) / Südl. Innenstadt – Freylinghausensaal der Franckeschen Stiftungen
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Gebäude oder Kirche
Freylinghausensaal der Franckeschen StiftungenKonfession
konfessionslosOrt
Halle (Saale) / Südliche InnenstadtPostleitzahl
06108Bundesland / Kanton
Sachsen-AnhaltLand
DeutschlandBildergalerie + Videos
Johannes Richter spielt Paul Blumenthal (1843-1930) – Drei Weihnachtsstücke Op.124
Bildrechte: Datenschutz
Orgelgeschichte
18. Jahrhundert Errichtung einer ersten Orgel im Saale. Diese wurde mehrfach umgebaut.
1870 Verkauf der alten Orgel an die Kirche St. Nicolai zu Gotenberg/Petersberg.
1913 Errichtung einer vorderspieligen pneumatischen Kegelladenorgel II/17+1 (Opus 363) hinter einem neuen Prospekt auf der Ostempore des Saales an der Stirnfront.
1990 nach Spendensammlung Sanierung der Orgel durch Alexander Schuke Orgelbau.
Die Rühlmann-Orgel im Freylinghausensaal der Franckeschen Stiftungen dürfte eine der am wenigsten bekannten Orgeln in der Saalestadt, wohl aber eine der Schönsten sein. Sie ist das 363. Werk der Zörbiger Werkstatt und mit ihren 18 (17+1) Registern ein veritables Instrument. Der Prospekt ist äußerst charakteristisch und auffallend – er greift mit seinen drei Flachfeldern den später in Mode kommenden Freipfeifenprospekten vor. Senkrechte und waagerechte Holzteile gliedern die Schaufront, die an beiden Seiten nochmals je fünf stumme Zinkpfeifen trägt. Die Pfeifenfelder werden durch schlichte, senkrechte Säulen untergliedert. Ein breiter Querriegel mit einem geometrischen Rechteckfries zieht den Prospekt in die Breite und vergrößert ihn optisch – macht ihn präsenter. Bemerkenswert sind die bemalten Pfeifenmündungen der Prospektpfeifen, die an den englischen Orgelbau gemahnen.
Der Spieltisch ist frontal mit Blick zum Gehäuse angebracht – die Registerschalter besitzen die für Rühlmann typischen weißen Porzellanschilder mit schwarzer Beschriftung. Interessanterweise sind die sonst so oft vorhandenen Spielhilfen wie Walze, Schweller etc. hier nicht zu finden – ein Zugeständnis an die Tatsache, dass die Orgel hier damals nicht als Konzertinstrument, sondern als reine Gottesdienst- und Begleitorgel fungieren sollte?
Im Inneren steht vorne die Windlade des ersten, dahinter die des zweiten Manuales – beide in chromatischer Aufstellung als pneumatisch angesteuerte Kegelladen nach dem Abstromprinzip, welches die Präzision vergrößert, gebaut (Druckabfall geschieht nach den physikalischen Gesetzen schneller als Druckaufbau!). Das Pedal steht hinten an der Rückwand – ebenfalls chromatisch aufgestellt und auf nahezu ebenerdigen Kegelladen.
Die Disposition zeigt sich selbst für eine Rühlmann-Orgel erstaunlich grundtönig, was sich dadurch erklärt, dass der Saal damals eine zu weiten Teilen aus Holz bestehende Inneneinrichtung besaß – Grundtönigkeit und die Kraft aus der Mittellage waren wichtiger als das hell silberne Strahlen einer Barockorgel. Somit besitzt die Orgel großartige orchestrale Qualitäten, trotz der „nur“ 18 Register. Das Hauptwerk besitzt neben einem füllig stillen und dumpfen Gedackt 16′ eine reiche Achtfußpyramide, bestehend aus dem rühlmanntypisch sehr machtvoll breiten, singend-weichen Principal 8′. Aufgefächert durch einen weich-tragfähigen Bordun 8′ als wunderbares Begleitregister, eine Traversflöte von perlend warmen und sehr tragfähigem Klang, die edle Soloqualitäten hat sowie eine herbe, sehr schneidend durchsetzungsfähige Gambe 8′. Solch eine reiche Grundstimmenpalette im Hauptmanual ist bei Orgeln der Firma in dieser Größe durchaus untypisch, zumal die 4′-Lage nur durch die strahlend starke, helle Oktave 4′ vertreten ist. Eine leise, flötige 4′-Stimme (wie sonst für die Hauptmanuale der Firma typisch) findet sich hier nicht. Eine 2-4fache Mixtur sorgt für goldenen Glanz und Gravität, da sie recht tief auf 2 2/3′ basiert.
Das zweite Manual weitet die Grundstimmenpalette des Hauptwerkes weiter aus. Ein schlanker, singend obertonreicher Geigenprincipal (eine vollkommen edle Solostimme) gibt Kraft und Gewicht im Vergleich zum Hauptwerk – er verleiht dem zweiten Manual bis zu einem gewissen Grade die Möglichkeit eines Konterparts zum Hauptmanual. Dieser Geigenprincipal dürfte zu den schönsten Stimmen dieser Art zählen und ist nach Meinung des Autors das schönste Register dieser Orgel. Ein stilles, tragfähiges, sehr mischfähiges Gedackt, eine kullernd schnell ansprechende, sehr orchestrale Hohlflöte (sonst eher im Hauptwerk bei Rühlmann stehend, die Traversflöte steht sonst eigentlich im zweiten Manual), sowie ein streichend-singendes, aetherisches Salicional runden die Grundstimmenpalette ab. Vor allem die Hohlflöte zeigt als Soloregister beachtliche Qualitäten. Sie ist stärker als die offene Flöte des Hauptwerkes und zeigt, dass das zweite Manual auch als Solowerk angedacht ist. Eine weiche, zurückhaltende Flöte 4′ gibt sanfte Helligkeit – eine stark streichende, sehr helle, kraftvolle Fugara gibt Kraft, mischt sich gut mit dem Salicional und kann über die Oberoctavkoppel einen überzeugenden 2′ im Hauptwerk darstellen. Das Pedal grundiert den Klang machtvoll und edel. Ein fülliger Subbass und ein offen kraftvoll streichender Violon 16′ bilden das Fundament, dem ein Principalbass 8′ mit guter Zeichnungsfähigkeit, sowie eine Oktave 4′ mit heller, durchdringender Intonation (die sich gut untermischt) beiseite gestellt sind. Für die zartesten Klangfarben bildet die Transmission des Gedackt 16′ des Hauptwerkes als dritter Pedalsechzehnfuß eine zurückhaltende, unterschwellige Grundlage.
Es ist kaum möglich den Klang dieser Orgel ausreichend zu beschreiben – charakteristische, orchestrale Klänge sind ebenso nutzbar wie die vielfältigsten Soli mit stets angemessen vielseitigen und -farbigen Begleitungen. Besonders eindrucksvoll sind die gesamten Grundstimmen zusammen genommen, die sich im Diskant sehr edel nach oben hin klanglich öffnen. Das volle Werk ist gravitätisch, strahlend golden und füllt den Raum herrlich aus.
Die Traktur spielt sich sehr präzise – die Spielhilfen reagieren schnell und prompt. Der Zustand des Werkes ist hervorragend. Es ist ein großes Glück, dass diese wunderbare Orgel in einem akustisch so gut für Orgelmusik geeigneten Raum erhalten ist und geliebt und gepflegt wird. Ihre Qualitäten dürften noch weiter bekannt werden, ist sie doch eine der eher unbekannten Orgeln der Saalestadt – der Hörer möge sich anhand des Klangbeispiels von diesen betörenden Klängen einen Eindruck machen.
Disposition
Manual I – Hauptwerk C – f“‘Gedackt 16′ Principal 8′ (teilw. Prospekt, Zink) Bordun 8′ Flauto trav. 8′ Gambe 8′ Oktave 4′ Mixtur 2-4fach
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Manual II – Oberwerk C – f“‘Geigen principal 8′ Liebl. Gedackt 8′ Hohlflöte 8′ Salicional 8′ Fugara 4′ Flauto amab. 4′
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Pedal C – d‘Subbass 16′ Violon 16′ Still gedackt 16′ (Tr.I) Principal-bass 8′ Oktave 4′ |
Spielhilfen
Als Registerschalter mittig, von links: Manual koppel [II/I], Pedal koppel z.I.M., Pedal koppel z.II.M., Ober oktav koppel II.z.I., Piano pedal f. M. II.
Als Registerschalter ganz rechts: Kalkant
Als Collectivdrücker in der Vorsatzleiste unter Manual I, von links: Auslöser, p, mf, f, tutti
Gebäude oder Kirchengeschichte
1710-11 Erbauung des Saales als Sing- und Betsaal für das Waisenhaus der Franckeschen Stiftungen.
18. Jahrhundert Nutzung auch für Prüfungen und Singestunden, der Saal entwickelte sich zum geistlichen Zentrum der Stiftungen.
31.3.1945 Zerstörung des Saales im Rahmen eines Bombardements, Decke, Wände und Teile der Ausstattung wurden vernichtet.
Ab 1950 notdürftige Instandsetzung und Nutzung des Raumes als Turnhalle.
1985 Sperrung des Saales.
1992-93 erste Arbeiten am Saal und Rekonstruktion der Westempore – die Wiederherstellung anderer Ausstattungsstücke unterblieb, da der Saal auch für Tagungen etc. nutzbar sein sollte.
1995 Einweihung des Saales mit einem Festkonzert, im Zuge dessen auch Benennung nach eine Weggefährten Franckes, dem pietistischen Dichter Freylinghausen, dessen Lieder zur Einweihung 1711 hier erklangen.
Um 1995 Einbau eines Podestes für Künstler und Musiker.
2021 der Saal wird gerne und viel für Konzerte, Ausstellungen, Tagungen etc. genutzt.
Der Freylinghausensaal liegt versteckt als Anbau im Gelände der Franckeschen Stiftungen zu Halle. Von außen ist er Kennern durch die zweireihige Fensterfassade, bestehend aus Rechteckfenstern und Bogenfenstern, ersichtlich. Der Saal besitzt mit 45 Meter Länge und ca. 10 Meter Breite veritable Ausmaße – früher konnten bis zu 2000 Personen hier Veranstaltungen folgen. Der Raum ist heute sehr schlicht gehalten – die ehemalige Ausstattung wurde zugunsten einer vielfältigen Nutzung des Raumes nicht rekonstruiert.
Im Westen und im Osten befinden sich zwei Empore, die die gesamte Breite des Raumes durchmessen. Sie ruhen auf viereckigen Säulen mit dazwischen befindlichen Rundbögen. Die Balustraden sind grün gehalten und tragen rot marmorierte, golden umfasste barocke Zierspiegel. Die Wände werden durch hohe Fensterbögen aus Stein gegliedert, in denen sich die übereinander angeordneten Fenster befinden. Gemälde der Stiftungsdirektoren – 16 an der Zahl – sind zwischen den Fenstern angebracht. Eine Muldendecke überspannt den Raum.
Bemerkenswert sind die modernen Leuchter, die als Anlehnung an historische Stücke entstanden. Sie bestehen aus Edelstahl und besitzen gläserne Ringe, die durch die vielen Leuchtkörper facettenreich und hell erstrahlen und eine gelungene moderne Adaption darstellen. Der Raumeindruck ist hell, edel und schlicht, von großer Weite und erhabener Größe, welche in Verbindung mit der schlichten Innenausstattung eine tragfähig transparente und durchweg sehr gute Akustik zur Folge hat.
Anfahrt
Quellenangaben
Orgelbeitrag erstellt von: Johannes Richter
Dateien Bilder Kirche und Orgel: Johannes Richter
Orgelgeschichte: Johannes Richter – eigene Sichtung vor Ort am 15.12.2020, ergänzt durch Informationen aus W. Stüven: Orgel und Orgelbau im Halleschen Land vor 1800, Breitkopf&Härtel, Wiesbaden 1964.
Kirchengeschichte: Paul Raabe: In Franckes Fußstapfen. Aufbaujahre in Halle an der Saale. Arche, Zürich/Hamburg 2002, ISBN 3-7160-2298-5, sowie Paul Raabe, Thomas Müller-Bahlke: Das historische Waisenhaus. Das Hauptgebäude der Franckeschen Stiftungen zu Halle. 2., veränderte Auflage, Franckesche Stiftungen, Halle (Saale) 2005, ISBN 3-931479-73-0, S. 42ff., desweiteren Internetauftritt der Franckeschen Stiftungen
Videos von Johannes Richter auf dem Youtube-Kanal JRorgel