Orgel: Halle (Saale) / Ammendorf – St. Marien
Für Anfragen kontaktieren Sie bitte das Orgel-Verzeichnis über das Kontaktformular.
Gebäude oder Kirche
St. MarienKonfession
KatholischOrt
Halle (Saale) / AmmendorfPostleitzahl
06132Bundesland / Kanton
Sachsen-AnhaltLand
DeutschlandBildergalerie + Videos
Johannes Richter spielt Max Drischner (1891 – 1971) – Choralvorspiel „Großer Gott, wir loben dich“ (1935)
Johannes Richter spielt Max Drischner (1891 – 1971) – Choralvorspiel „Herr Jesu, deine Angst und Pein“ (1933)
Bildrechte: Datenschutz
Orgelgeschichte
1984 Errichtung einer seitenspieligen mechanischen Schleifladenorgel II/15 durch die Werkstatt Gerhard Kühn aus Merseburg.
Diese Orgel ist heute unverändert erhalten.
Die Kühn-Orgel in der katholischen Kirche in Ammendorf ist eine der jüngeren Orgeln in der Saalestadt, in welche Kühn mehrere Instrumente (auch in die alte, heute armenische Kirche) lieferte. Das Werk ist seitlich an die Empore im Westen angefügt und zeigt in einem zum Raum passenden, kantig-schlichten Prospekt einen deutlichen Werkaufbau. Oben das Oberwerk mit Schwelltüren, darunter das Hauptwerk, rechts das Pedal in einem großen (vom Grundriss her quadratischen) Pedalturm, der über die Empore hinausragt (was unter anderem das Stimmen der Trompete 8′ im Prospekt zu einem etwas abenteuerlichen Unterfangen geraten lässt!). Eine Besonderheit, die sich so nur in dieser Orgel findet, ist die Tatsache, dass im Pedalturm die Trompete 8′ und auf der anderen Seite Pfeifen der Bassflöte 8′ im Prospekt stehen – einen Lingualprospekt besitzt keine andere Orgel der Stadt. Dadurch erhält die Schaufront eine schlicht geradlinige, aber auch etwas harte Ausstrahlung. Etwas unschön ist der deutlich sichtbare, grau lackierte Stahlträger, der unter dem Schwellwerksgehäuse quer durch den Prospekt verläuft.
Das Gehäuse ist aus schlichtem Sperrholz ausgeführt. Der Spieltisch seitlich mit guter Sicht zum Altar (unerlässlich für die Gestaltung der katholischen Liturgie) angebracht. Die Windladen sind als mechanische Schleifladen mit Wellenbrettern ausgeführt, die Abstrakten bestehen aus Holz, die Kondukten der Prospektpfeifen sind aus Kunststoff-Flexschläuchen hergestellt. Die Disposition zeigt sich typisch neobarock. Das Hauptwerk besitzt einen kompletten Principalchor, basierend auf einem schmalen, etwas indifferent ansprechenden und leider recht obertonlosen Principal 8′ nebst heller, etwas harter Oktave 4′, glitzernder Oktave 2′ und silbriger, sehr spitzer Vierfachmixtur. Eine runde, etwas hohle, fast quintadenenartige Rohrflöte verbreitert die Achtfußlage. Ein flötiger Naßat gibt herbe Farbe. Das zweite Manual besitzt ein rundes, stilles Gedackt 8′, ein sehr fülliges, volles Nachthorn 4′ (welches der Autor als schönste Stimme dieses Werkes ansieht) sowie eine leuchtend-helle Waldflöte 2′. Eine dreifache, sehr helle, spitze Zymbel stellt eine Plenumfähigkeit und einen Kontrast und Gegenpart zum Hauptwerk her – jedoch ist dieses Register nur bei geschlossenem Schweller zu verwenden. Dazu scheint der Schweller eingebaut worden zu sein: die Schwelltüren sind sehr niedrig und zudem recht dünn, dämpfen den Klang sehr wenig – vor allem aber fangen sie die Obertöne der sehr hohen Zymbel gut ab. Ein schmal schnarrendes, fast cembaloartiges Spillregal gibt dem zweiten Manual zusätzliche Kraft – auch dem vollen Werke vermag dieses eigentümliche Register zusätzliche Stärke zu geben.
Das Pedal besitzt immerhin vier Register. Ein dumpfer Subbaß grundiert den Klang angemessen, eine Baßflöte hellt ihn rund und mit sanftem Spucken auf, ein kupferner Choralbaß 4′ gibt zusätzlich sehr starke Zeichnungsfähigkeit. Die schnarrende, etwas klirrende Trompete 8′ gibt der Orgel ein bemerkenswertes Fundament und ist auch durch ihre exponierte Lage im Prospekt gut als Soloregister verwendbar mischt sich aber nicht gut unter, vor allem, wenn der Zuhörer direkt unter dem Pedalturm sitzt.
Der Gesamtklang des Werkes ist dem Raum gut angemessen und angenehm vielfarbig – im Plenum aber schnell grell, hell und etwas spitz, gleißend hart und nicht sehr mischfähig. Dennoch ist die Orgel für Gottesdienste gut verwendbar, weist aber auch im leisen bis mittleren Dynamikspektrum schöne Farben auf. Die Spielbarkeit ist dabei vor allem mit der Manualkoppel eine recht Schwere ohne genauen Druckpunkt. Die Traktur ist generell recht teigig, weich und mit wenig Druckpunkt, dabei aber recht schwer, was das Spielgefühl etwas gummiartig werden lässt. Die Koppeltritte liegen für den rechten Fuß recht ungünstig erreichbar und lassen sich nur schwer einhaken. Der Schweller ist dagegen extrem leichtgängig und neigt bei schneller Betätigung zum „Knallen“, vor allem beim schnellen Schließen der Schwelltüren.
Die Orgel ist in gutem Zustand, nur leider immer irgendwie verstimmt. Sie wird regelmäßig zu den Gottesdiensten gespielt und ist auch durch ihre technisch solide Bauart ein gutes und interessantes Instrument in der Saalestadt.
Disposition
Manual I – Hauptwerk C – g“‘Prinzipal 8′ Rohrflöte 8′ Oktave 4′ (Prospekt) Naßat 2 2/3′ Oktave 2′ Mixtur 4fach |
Manual II – Oberwerk C – g“‘ (schwellbar)Gedackt 8′ Nachthorn 4′ Waldflöte 2′ Zymbel 3fach Spillregal 8′ |
Pedal C – f‘Subbaß 16′ Baßflöte 8′ (teilw. Prospekt) Choralbaß 4′ (Pfeifen aus Kupfer) Trompete 8′ (Prospekt) |
Spielhilfen
Mittig über dem Pedal als Balanciertritt: Schwelltritt für Jalousieschweller II
Mittig rechts über dem Pedal als Fußtritte zum Einhaken, von links, unbeschriftet: Manualkoppel II/I, Pedalkoppel I/P, Pedalkoppel II/P
Gebäude oder Kirchengeschichte
1901 Errichtung einer ersten katholischen Kirche in Ammendorf.
1979 Errichtung von Plattenbauten für den Wohnbedarf der Arbeiter aus Leuna, Buna und Schkopau. Dies bedingte ab 1979 die Planungen für ein neues Gemeindezentrum, da die alte Kirche zu klein wurde.
1980 Kauf eines Grundstückes.
1981-82 Errichtung des Gemeindehauses
1982-84 Errichtung der heutigen Kirche – der geplante Glockenträger wurde nie errichtet.
Die alte Kirche, im Zuge der Errichtung der Neuen zu St. Hedwig umbenannt, wurde bis 2005 noch genutzt und danach an die armenische Gemeinde Halle verkauft.
Heute gehört die Kirche zur katholischen Pfarrei St. Franziskus in Halle.
Die Ammendorfer Kirche St. Marien ist die zweite katholische Kirche, die in sozialistischer Zeit in Halle erbaut wurde – die Andere ist die Pfarrkirche Heilig Kreuz in der nördlichen Innenstadt. Das Bauwerk ist Teil eines Gebäudekomplexes mit Gemeinde und Pfarrräumen, die anlässlich der Errichtung der Plansiedlungen (Plattenbauten) für die Arbeiter der Leuna- und Buna-Werke entstanden und den dortigen Arbeitern eine geistige und geistliche Heimat geben sollte, Dies ist vor allem insofern bemerkenswert, als dass Kirchenneubauten zu DDR-Zeiten von erheblichen Schwierigkeiten begleitet wurden.
Der Kirchenraum zeigt sich als oktogonaler Zentralbau in sachlichen Formen – unter den Einwohnern der Stadt wird er auch manchmal liebevoll „Keksdose“ genannt. Die Außenwände der Kirche sind weiß verputzt, im Kontrast zur Kirche sind die Gemeinderäume klinkersichtig in einer warm-roten Farbgebung gehalten. Unter der kupfernen Dachverblendung des Flachdaches, die an den Seiten umlaufend auf die Wände herunter gezogen ist, verläuft rings um den Raum ein schmales Band aus Buntglasfenstern mit geometrisch runden Formen. Links des Altars finden sich zwei über Eck angeordnete, vom Boden bis zur Decke reichende Buntglasfenster mit ebenfalls geometrischen Mustern. Über dem Eingang zum Gemeindezentrum, über den man heute auch die Kirche betritt, ist ein großes, schlichtes, dunkles Kreuz angebracht, welches gut mit dem dunklen Kupferdach korrespondiert. Auf der rechten Seite des Bauwerkes außen ist eine moderne Darstellung der Hl. Jungfrau Maria mit dem Christuskind und Strahlenkanz zu sehen – gefertigt aus dunklem Metall und damit sich gut von der hellen Außenwand abhebend.
Das Innere wirkt durch den umlaufenden Buntglasfensterkranz hell und freundlich. Die steinsichtigen Klinkerwände des Inneren sorgen für eine warme Atmosphäre – die Umrahmung des Fensterkranzes oben und unten besteht aus Beton und sorgt in der grauen Farbe für einen wirkungsvollen Akzent. Die Flachdecke im Inneren ist von heller Farbgebung und wird durch auf den Altar zulaufende Träger von rötlicher Färbung angenehm warm umrahmt. Altartisch und Ambo sind von kantig sachlicher Gestalt und in grauer Farbe gehalten. Der schlichte Tabernakel befindet sich in zur Wand passender Kupferfarbe in die Wand eingelassen. Davor befindet sich eine Christusfigur vom Nienburger Bildhauer Werner Nickel, die ebenfalls in goldener Bronze gefärbt, aber in sehr runden und fließenden Formen kontrastierend zum Innenraum gestaltet ist. Rechts des Altars findet sich eine Madonna mit Kind und Strahlenkranz – sie ist eine Schnitzarbeit des 15. Jahrhunderts und wurde aus der alten Kirche übernommen. Auf der linken Wand neben dem Altarraum symbolisiert ein schlichtes Holzkreuz mit Dornenkrone Anfang und Ende des Kreuzweges. Die Gemälde sind Kopien einer Mainzer Vorlage, geschaffen von Evamaria Brückner. Die 14 Gemälde verteilen sich auf die Wände rund um den Kirchenraum. Unter der Empore befindet sich ein Kreuzigungsgemälde von Wilhelm Ernst Dietrich aus barocker Zeit.
Die Empore selbst wird lediglich auf der Treppenseite von einer Klinkersäule getragen, sonst ist sie freitragend gestaltet. Sie umfasst L-förmig den Kirchenraum und zeigt farblich abgesetzte, helle Rechteckfelder mit karmesinroter, zum Raum passender Umrandung und bietet nochmals viele Sitzplätze. Die Orgel passt sich gut in den Raum ein und wirkt durch das helle Gehäuse gleichsam als Akzent. Der Raumeindruck ist geborgen und erhaben, durch die bunten Fenster mit warm changierenden Licht durchflutet, edel und geborgen, heilig und ernst.
Anfahrt
Quellenangaben
Orgelbeitrag erstellt von: Johannes Richter
Dateien Bilder Kirche und Orgel: Johannes Richter
Orgelgeschichte: Johannes Richter, eigene Sichtung vor Ort am 15.12.2019
Kirchengeschichte: Peggy Grötschel, Matthias Behne: Die Kirchen in der Stadt Halle. Mitteldeutscher Verlag, Halle 2006, ISBN 3-89812-352-9, S. 106–107.
Orgelvideos von Johannes Richter auf dem Youtube-Kanal JRorgel