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Orgel: Dessau-Roßlau / Alten – Philipp-Melanchthon-Kirche

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Gebäude oder Kirche

Philipp-Melanchthon-Kirche

Konfession

Evangelisch

Ort

Dessau-Roßlau / Alten

Postleitzahl

06847

Bundesland / Kanton

Sachsen-Anhalt

Land

Deutschland

Bildergalerie + Videos

Kirche außen

Innenraum

Altarraum

Wandgemälde von Melanchthon, Luther und Leopold I.

Orgelprospekt

Spieltisch

Glockenturm und -stube

 

Johannes Richter spielt: Johannes Richter (*1998) – Fantasie f-Moll über ein Passionslied



Bildrechte: Datenschutz

Orgelgeschichte

1743 Errichtung einer ersten Orgel in der Kirche durch den Orgelbauer Zuberbier aus Köthen.
Im Laufe der Zeit wurde das Werk mehrfach verändert, u.a. durch Wilhelm Hoff/Dessau um 1850, auch Karl Giese/Dessau war um 1870 an der Orgel tätig.
1898 Neubau einer vorderspieligen Orgel II/14 mit pneumatischen Kastenladen als Opus 199 der Firma Rühlmann/Zörbig.
1917 Abgabe der 53 Prospektpfeifen aus Zinn.
1920er Jahre Einbau von 53 Zinkpfeifen in den Prospekt durch die Erbauerwerkstatt.
1966 Reparatur und Stimmung durch Orgelbauer Hildebrandt/Rossleben bei Atern.
1969 Reparatur und Stimmung.
Oktober/November 1992 Durchsicht, Stimmung, Nachintonation durch (namentlich genannt) Scheffler, Herold, Schmid, Hernig, Ilsums
2022 die Orgel ist gut spielbar, für eine umfassende Sanierung werden Spenden gesammelt.

Nur wenigen Orgelfreunden dürfte heutzutage bekannt sein, dass Dessau einst auch Orgelbauerstadt war – wenig bekannte Orgelbauer wie Karl Giese und Wilhelm Hoff, deren Arbeiten sich auf das Stadtgebiet und die umliegenden Orte beschränkten, arbeiteten hier. Ein weiterer Name von damals durchaus überregionaler Bedeutung ist heute jedoch in Vergessenheit geraten und wird auch auf anderen Seiten kaum genannt – jener der Orgelbauanstalt Fleischer&Kindermann, welche Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts in Dessau Instrumente schufen, welche nicht nur überregional aufgestellt wurden (eine Orgel findet sich beispielsweise in Merkewitz bei Halle), sondern die auch veritable Größen von bis zu 40 Stimmen erreichten. Interessanterweise erhielt beim Neubau der Orgel in der Melanchthonkirche in Alten nicht die ortsansässige Firma, sondern die Konkurrenz aus Zörbig den Auftrag – so durfte die Firma Rühlmann in Alten ihr 199. Werk aufstellen, welches (bis auf die Prospektpfeifen) auch heute noch im originalen Zustand auf uns gekommen und von allen zeittypischen Veränderungen verschont geblieben ist. Dies ist insofern bemerkenswert, als dass man auch 1966, als die Orgel durch Hildebrandt aus Roßleben bei Artern gewartet wurde, scheinbar den Wert des Werkes zu schätzen wusste und von einer Umdisponierung (welche Hildebrandt auch oftmals ausführte, zum Beispiel in Unter- und Oberteutschenthal) absah. Inwiefern dort auch finanzielle Belange eine Rolle spielten, ist heute nicht mehr zu ermitteln.
Der Prospekt wirkt für die Erbauungszeit, als eigentlich große historistische Gehäuse Gang und Gäbe waren, überraschend modern und zeitlos. Er ist quasi als Freipfeifenprospekt erbaut, der von zwei großen Flachfeldern flankiert wird, hernach fallen die Pfeifen, in zwei Harfenfelder und ein breites Mittelfeld gegliedert, zur Mitte hin ab, um das runde Westfenster nicht zu verdecken. Dessen Licht hüllt im Abendschein die Orgel in ein glanzvolles Gewand. Die Pfeifenfelder werden durch Pilaster aus dunklem Holz mit bekrönenden Filialen gegliedert. Geschwungene Holzelemente verleihen der Schaufront zeitlose Eleganz. 53 Pfeifen bilden den Prospekt, die Aufteilung ist dabei wie folgt: 5 – 10 – 23 – 10 – 5.
Der Spieltisch ist, wie für die Firma Rühlmann typisch, frontal an das Gehäuse angefügt und zeigt sich im intuitiv durchschaubaren, schnörkellosen Stil der Firma. Die Registerschalter besitzen weiße Porzellanschilder mit schwarzer Beschriftung. Durch das Fehlen der Walze sind sie quasi als „Manuelles Crescendo“ angeordnet, sodass beim Einschalten von Links nach Rechts automatisch ein Zunehmen der Klangkraft erzeugt wird. Bis auf drei feste Kombinationen, Koppeln und eine Octavkoppel besitzt das Werk keine weiteren Spielhilfen. Die Windladen der Orgel befinden sich, diatonisch in C- und Cis-Seite geteilt, auf Höhe der Prospektöffnungen. Dem Verlauf der Schaufront folgend fallen die Pfeifenlängen zur Mitte hin ab und geben damit den Blick auf das dezent farbig verglaste Westfenster frei – eine solch scheinbar problemlose Zusammenarbeit zwischen Orgelbauer und Architekt wäre heute manchmal wünschenswert…
Vorne, direkt hinter den Prospektpfeifen stehen die Windladen des zweiten Manuales, dahinter das Hauptwerk, welches einen Stimmgang besitzt. An der Rückwand der Kirche befinden sich die Pfeifen des Pedalwerkes, die eine chromatische Aufstellung aufweisen. Unter den Windladen ist durchaus viel Raum vorhanden, auch wenn ein groß gewachsener Mann wie der Autor mit 1,80m nicht aufrecht stehen kann. So wurde hier im Untergehäuse neben dem Schleudergebläse auch der große Doppelfaltenmagazinbalg untergebracht, nebst der Kanalanlage und einigen Ausgleichsbälgen.
Die Disposition zeigt sich zeittypisch, farbig-grundtönig, warm und charaktervoll. Das Hauptwerk ist das starke Führungswerk, das Oberwerk tritt mit seinen Charakterstimmen dem gegenüber zurück. Das erste Manual besitzt einen Rühlmann-typisch sehr vollen, kraftvoll-warmen, rund singenden Principal 8′ mit farbigen Obertönen, welcher durch eine strahlend helle, glanzvoll hervortretende Octave 4′ und eine recht tief liegende, etwas herb-goldene, dabei aber klangstarke Mixtur 3fach zum Plenum ergänzt wird, welches den Raum mächtig und mit goldenem Schein ausfüllt. Bemerkenswert ist die Tatsache, dass im ersten Manual in Alten zwei Flöten disponiert wurden – typisch für die rühlmannschen Dispositionen wäre die Kombination Hohlflöte 8′ – Gambe 8′, hier jedoch stehen Hohlflöte 8′ – Doppelflöte 8′. Der Autor will dies durchaus nicht als Nachteil verstanden wissen, beide Flöten sind firmentypisch delikate, charakteristische Stimmen unterschiedlicher Couleur, welche in der Äquallage den Klang auffüllen und aufweiten, aber auch als Solo- und Begleitregister hervortreten können. Die Hohlflöte 8′ ist eine dunkle, sehr voll-füllige, warm-weiche Stimme, die sich in der Höhe perlend „öffnet“ und vor allem im Diskant eine edle, charaktervoll-melancholische, starke Solostimme darstellt. Die Doppelflöte dagegen weist einen eher orchestralen Klang mit querflötenartiger Ansprache auf, ihr Klang ist leicht rauchig, mit farbigen Obertönen und deutlicher Ansprache. Auch dieses Register ist im Diskant solistisch eine wahre Pracht, allerdings etwas „schmaler“, heller, rauchiger als die sehr warm-runde Hohlflöte. Beide Flöten zusammen ergeben einen weichen, den Raum ausfüllenden, sehr mischfähig-schmiegsamen Klang. Trotz des unterschiedlichen Charakters mischen sich die Flöten außerordentlich gut und erklingen im Duo so einheitlich-mischfähig, dass der Hörer beim ersten Erleben sicher von einer Stimme ausgehen würde – diese beiden Flöten zählen auf jeden Fall zu den Highlights dieser Orgel. Ein füllig-warmer, etwas dumpfer, klanglich kraftvoller Bordun 16′ bildet die gravitätische Grundlage des Hauptwerkes – er beginnt erst ab G. Dieses Zugeständnis lässt sich damit erklären, dass unterhalb dieses Tones kaum im Manual gespielt wird, und die Gravität in dieser Lage eher vom Pedal ausgeht. Die Platzersparnis ist auch ein Faktor. Die drei Grundstimmen des Hauptwerkes mit dem Bordun 16′ zusammen ergeben einen mächtigen, sehr dunkel-warmen, vollen Klang, der für sich genommen den ganzen Raum ausfüllt und erfüllt. Das Plenum des ersten Manuales erhält durch die tiefliegende Mixtur in Verbindung mit dem Bordun 16′ einen markant-mächtigen Charakter, ohne drückend oder erschlagend zu wirken.
Das zweite Manual besitzt Farb- und Charakterstimmen und ist gegenüber dem Ersten deutlich zurückgenommen. Während das Hauptwerk in Alten zwei Flöten anstatt der für die Firma typischen Kombination Prinzipal – Flöte – Streicher besitzt, wurden im Oberwerk zwei Streicher disponiert. Auch dies weicht von der sonstigen Art der Disposition ab: Meist finden sich bei den Zörbiger Orgeln entsprechender Größe Kombinationen wie Gedackt – Traversflöte – Salicional. In Alten wurden dafür ein leiser und ein recht exponierter Streicher gebaut. Das zweite Manual wird durch ein dunkles, weiches Gedackt 8′ begründet, welches im Diskant einen etwas hohlen Klang aufweist, der warm durch den Raum perlt. Das Salicional 8′ hat fast den Charakter einer schneidigen Hauptwerks-Gambe – im Baß (ab c°) fast wie eine durschlagende Zunge klingend, in der Mittellage herb-präsent, obertonreich und melancholisch-scharf, im Diskant schmal und klagend. Durch den starken Klang kann das Salicional hervorragend als Solostimme dienen. Daneben steht ein weiterer Streicher, der seinem Namen „dolce“ (ital. „sanft“) alle Ehre macht. Sehr zurückhaltend, nicht offensiv-streichend, eher still-gemshornartig klingt diese Stimme, welche sich in äußerster Zurückhaltung übt und sich im Diskant etwas öffnet. Für die Mensur wurden hier die Maße einer Aeoline verwendet. Der Obertonreichtum dieses Registers ist farbig und (im Rahmen) hell, aber nicht offensiv, eher beiläufig-elegant. So taugt diese Stimme für die leisesten Abschnitte der Musik zur Erbauungszeit des Werkes. Vor allem die Kombination Dolce 8′ als Begleitung und eine der beiden Flöten des Hauptwerkes als Solo ist berückend schön, von warmem Schmelz und ergreifender Sehnsucht gekennzeichnet. Eine verspielte, klangvoll-kräftige Flöte 4′ mit weichem, perlend-mischfähigen Klang hellt das Werk auf. Eine kraftvolle, obertonreich-scharfe Fugara 4′ bildet eine Art Klangkrone und ein Pendant sowie Gegengewicht zum Hauptwerk. Daneben lassen sich mit den beiden 4′-Stimmen mit der Octavkoppel interessante Effekte erzielen – die Flöte 4′ oktaviert als Flöte 2′ im Chor mit 8′-4′, die Fugara als helles Substitut einer 2′-Octave. Diese Art der Disposition zeigt Rühlmanns praktisches und musikalisches Denken par excellence. Anzumerken sei noch, dass auch die Disposition zweier 4′-Stimmen nicht unbedingt typisch ist – eigentlich steht im Hauptwerk ein Gedeckt oder Rohrflöte 4′, im zweiten Manual dann die Flauto amabile. Das zweite Manual hier ist also mehr als eine Ergänzung des Hauptwerkes oder eine Art „Auslagerung“ von leisen Stimmen, es ist eine eigenständige Farbpalette mit vielen Möglichkeiten. Auch die Kombination Salicional 8’+Fugara 4′ als Solostimme ist lauffreudig, hell, präsent und transparent.
Das Pedal grundiert mit drei Stimmen den Klang kraftvoll. Ein fülliger, rund-warmer und kraftvoller Subbass trägt den Klang, auf einen Violon 16′ wurde, vermutlich aufgrund der immensen Länge der Pfeifen, verzichtet. Ein zurückhaltender, rund-unauffälliger Gedacktbass und ein für rühlmannsche Verhältnisse fast dumpfer Octavbass hellen den Klang auf und geben Zeichnunsgfähigkeit – die Pedalkoppel(n) sind jedoch viel zu gebrauchen, um das Pedal dem Manual entsprechend zu verstärken und zu färben. Eine Anmerkung zum Octavbass 8′: Diese Stimme ist, im Kontext anderer Stimmen selbiger Firma, recht dumpf geraten. Zwar besitzt das Register eine gute Klangkraft, es fehlt aber an zeichnendem Oberton, um das Pedal merklich zu verstärken. Dennoch trägt das Pedal den Klang angemessen, ohne zu stark zu sein. Der Gesamtklang ist für 14 Stimmen sehr machtvoll und golden-glänzend, befeuert durch die hervorragende Akustik des edlen Kirchenraumes. Die Solomöglichkeiten sind vielfältig und farbig, die Orgel offenbart in jedweder Hinsicht das große Können der Zörbiger Orgelbauer.

Heute ist die Orgel spielbar, bedarf aber einer grundlegenden Sanierung. Das Pfeifenwerk ist frei von Schimmel oder Holzwurmbefall und in sehr gutem Zustand, eine Reinigung ist hier jedoch vonnöten. Die Traktur ist präzise, einige Tasten sprechen jedoch sehr verzögert an. Einige Pfeifen, vor allem in den Flöten, weisen deutliche Unregelmäßigkeiten in der Intonation auf. Teilweise sind Heuler festzustellen. Der Wind ist stabil und gibt der Orgel einen kraftvollen, gleichmäßigen Ton, alle Stimmen sind nach ihrem Charakter frei und edel intoniert. Die Kanalanlage weist leichte Undichtigkeiten auf, welche sich in dezentem Rauschen äußern. Durch die Sonneneinstrahlung durch das (heute teilweise verhängte) Westfenster leiden natürlich sämtliche Teile der Orgel auf Dauer nicht unerheblich, vor allem die letzten heißen Sommer haben ihre Spuren hinterlassen. Dass die Orgel heute dennoch nach wie vor so edel klingt, das spricht in hervorragender Weise für die Erbauerfirma und ihre Technik! Unter dem Motto „Orgelpfiff mit neuem Schliff“ soll die Orgel im kommenden Jahr fachkundig restauriert werden.
Das Werk in Dessau-Alten ist nach Meinung des Autors eines der Schönsten aus der Werkstatt in Zörbig und sicher im Zusammenspiel mit dem einmaligen Raum eine der bemerkenswertesten und klangschönsten Orgeln im Stadtgebiet Dessau. Das unten aufgeführte Klangbeispiel möge den geneigten Leser von den außergewöhnlichen Qualitäten dieser Orgel überzeugen!

Disposition

Manual I – Hauptwerk C – f“‘

Bordun 16′ (ab G, durchg. Holz gedeckt)

Principal 8′ (C-D#, Holz offen innen, Violon-Mensur, E-h° Prospekt, Zink, ab c‘ innen)

Hohlflöte 8′ (C-H Holz, gedeckt, ab c° Holz, offen, mit Stimmdeckel, ab f#“ Metall, offen)

Doppelflöte 8′ (Holz, gedeckt, ab f#“ Metall, gedeckt)

Octave 4′ (C-g° Prospekt, Zink, ab g#° innen)

Mixtur 3fach (2 2/3’+2’+1 1/3′)

Manual II – Oberwerk C – f“‘

Liebl. Gedact 8′ (Holz, gedeckt, ab f#“ Metall, gedeckt)

Dolce 8′ (C-H aus Liebl. Ged., ab c° offen)

Salicional 8′ (C-H gedeckt, ab c° offen)

Flauto amab. 4′ (Holz, offen mit Stimmdeckel, ab f#“ Metall)

Fugara 4′ (durchg. Metall, offen)

Pedal C  – d‘

Subbaß 16′ (Holz, gedeckt)

Principal baß 8′ (durchg. Holz, offen)

Gedact baß 8′ (Holz, gedeckt)

 

Spielhilfen

Als Registerschalter ganz rechts: Calcant (heute ohne Funktion)
Als Registerschalter mittig links, von links: Manual coppel [II/I], Pedal coppel z.M.I, Pedal coppel z.M.II, Octav coppel [II/I super, nicht ausgebaut]
Als Collectivdrücker in der Vorsatzleiste unter Manual I (unbeschriftet), von links: Auslöser, p, mf, tutti [feste Kombinationen]</em

Gebäude oder Kirchengeschichte

1743 Neubau einer ersten ellipsenförmigen Fachwerkkirche im Barockstil auf Geheiß des Fürsten Leopold I. von Anhalt-Dessau („Alter Dessauer“) nach Entwurf des Architekten Carlo Ignazio Pozzi. Mit Errichtung der Kirche wurde Alten, damals noch selbstständig, zum Kirchdorf. Die Kirche war eine Stiftung des Fürsten als Dank für die Genesung seiner Frau.
29.12.1743 Weihe der Kirche.
1843 Renovierung der Kirche unter Herzog Leopold Friedrich.
29.12.1843 erneute Weihe der Kirche, der Herzog „schmückte die Kirche zum Jubelfeste“.
Um 1880 starke Baufälligkeit der Kirche, Planungen für einen Neubau begannen.
2. Juli 1895 Vorlegung der Entwürfe für die neue Kirche, die dem Reformator und Gefährten Luthers, Philipp Melanchthon, geweiht werden sollte.
1897 Abbruch der alten Kirche, Neubau der neuen Kirche am alten Standort.
1898 Weihe der neuen Backsteinkirche im neuromanischen Stil, die Turmspitze erreicht ca. 32m Höhe.
1917 Abgabe der Glocken zu Rüstungszwecken.
1919 Guss der großen Eisenhartgussglocke durch Ulrich&Weule/Apolda-Bockenem, Nominal f‘.
1920 Guss der beiden kleinen Eisenglocken durch Ulrich&Weule, Nominale as‘, ces“.
1990 – 1992 umfassende Sanierung der Kirche und auch der Glockenanlage.

„Wenn du meine Frau gesund machst, so will ich dir eine Kirche bauen!“ – so oder in ähnlicher Weise wird Fürst Leopold I. von Anhalt-Dessau, auch bekannt als „Der Alte Dessauer“, angesichts der bedrohlichen Krankheit seiner Gemahlin zitiert. Wie durch ein Wunder wurde seine Frau wieder gesund und der Alte Dessauer hielt sein Versprechen ein und ließ in Alten, einem kleinen Dorf seines Herrschaftsbereiches, eine erste Kirche errichten, wodurch der kleine Ort zum Kirchdorf wurde. Auf einer kleinen Anhöhe an einer Straße mit einem damals so kuriosen wie sicherlich bezeichnendem Namen – „Drecksgartenstraße“ – wurde durch den renommierten Architekten Carlo Ignazio Pozzi eine ellipsenförmige Kirche mit Dachreiter errichtet. Nachdem das Bauwerk sehr desolat wurde, errichtete man an selbiger, exponierter Stelle an der Straßenkreuzung ein zeittypisch trutziges, markantes Gotteshaus im neoromanisch-historistischen Stil aus Ziegelmauerwerk, welches als Zentralbau nach lutherischem Verständnis ausgeführt wurde. Mit ca. 32m Höhe an der Turmspitze ist die dem Gefährten Luthers, Philipp Melanchthon, geweihte Kirche ein markantes und mächtiges Bauwerk, welches das Selbstverständnis der damaligen Kirche und der wilhelminischen Zeit nach außen trägt.
Der Zentralbau ist auf auf dem Grundriss eines griechischen Kreuzes errichtet. Die vier Arme dieses Kreuzes besitzen reich verzierte Giebel mit verputzten, sich vom Mauerwerk abhebenden Verblendungen und Ziergiebeln. Durch diese Gestaltung ist auch der Chorraum im Osten rechteckig ausgeführt und verzichtet auf eine Apsis. Die Wände werden von großen Rundfenstern durchbrochen. Seitlich davon sind je zwei schmale, hohe Rundbogenfenster in das Mauerwerk eingelassen. Der mächtige Turm scheint aus diesen Kreuzesarmen gen Himmel empor zu wachsen. Er besitzt eine oktogonale Form, an den vier Seiten sind runde Ecktürmchen eingelassen. Die vier Schallfenster der Glockenstube sind als große rundbogige Maueröffnungen ausgeführt, darüber erheben sich Treppengiebel, welche die ebenfalls oktogonale, spitz zulaufende Turmspitze umschließen. Von außen ist die Kirche gedrungen und trutzig.
Das Innere ist überraschend weit und sehr prachtvoll ausgestaltet. Der Hauptraum des Zentralbaus wird durch vier mächtige, ziegelverblendete Säulen umschlossen, welche in ein Kreuzgewölbe münden. Hinter hohen, ziegelverblendeten Rundbögen öffnen sich die Kreuzarme, ebenfalls von Kreuzgewölben überspannt. Die Decken sind als Kontrast zu den Ziegelverblendungen hell-beige gehalten und floral ausgestaltet, die Grate der Gewölbe sind als Ziegel-Akzente ausgeführt. Im Zentrum hängt ein großer Radleuchter mit Eichenlaubzier und dem goldenen Spruchband „Ein feste Burg ist unser Gott“. Die großen Fenster sind von einem Zierband aus roten Steinen umschlossen. Der Altar- bzw. Chorraum bildet das architektonische und visuelle Zentrum des Raumes, er ist überaus reich und edel ausgemalt. Das zentrale Rundfenster ist aus Buntglas gestaltet und zeigt im Zentrum auf rotem Grund die Dornenkrone Christi, umgeben von einem Strahlenkranz. Unter dem durch ein Backstein-Zierband umschlossenem Fenster befindet sich eine Blendgalerie aus Ziegelsteinen, die sich vor dem hellen Mauerwerk gut abhebt und eine Verbindung zu den Malereien mit Architekturperspektiven. Die florale Malerei um das zentrale Fenster mündet links und rechts unten in zwei Spruchbänder mit der Aufschrift „Ehre sei Gott“ (links) „in der Hoehe“ (rechts). Mittig über dem Fenster ist ein Kelch als Reminiszenz an das Abendmahl aufgebracht. Das Tonnengewölbe über dem Altar ist mit einem zentralen Kreuz im Strahlenkranz mit umgebender Dornenkrone und vier Darstellungen von Friedenstauben in den vier Ecken verziert. Die Wände des rechteckigen Altarraumes sind mit mit Darstellungen von Biblischen Figuren aus dem Alten und Neuen Testament versehen, welche vor blauem Grund jeweils mit Namenszug in historisierender Art und Weise dargestellt wird. Umgeben werden sie von architektonischen Malereien, welche an die Art der Darstellung des Himmlischen Jerusalems erinnern.
Von links nach rechts sind folgende Personen mit ihren jeweiligen Attributen dargestellt: Mose, David, Matthäus, Lukas, Petrus linkerhand, und rechterhand Paulus, Johannes, Markus, Jesaja und Elia. Die Darstellungen sind lebendig und erinnern zeittypisch an jene von gotischen Altarretabeln. Darunter ist ein blaues Zierband aufgebracht, auf welchem in goldenen Lettern das Christuswort „Kommet her zu mir alle die ihr muehselig und beladen seid“. Florale Malerei in grünlicher Farbe erstreckt sich darunter bis zum Erdboden. Der Altar selbst ist als schlichter, auf zwei Säulen ruhender Tisch ausgeführt. Die Säulen sind bemalt, über dem Altartisch im schlichten Aufsatz ist das Lamm Gottes mit Siegesfahne zu sehen, darüber bildet ein reich vergoldetes Kruzifix die Bekrönung des schlichten Altars. Der mächtige Chorbogen zeigt oben im Zentrum eine Malerei des segnenden Christus mit zwei Christusmonogrammen in einer Art und Weise die an orthodoxe Christusdarstellungen erinnert. Vier geflügelte Engelsköpfe sind links und rechts auf den hellen Grund gemalt, der Bogen wird von zwei dunklen Zierbändern eingefasst. Links und rechts des Altarraumes befinden sich zwei rechtwinklige Nischen, über denen ein Rundbogen angebracht ist. Auf der linken Seite befindet sich die auf sechs runden Pilastern ruhende, polygonale Kanzel, auf der rechten Seite findet sich die Fortsetzung des Christuswortes „Ich will euch erquicken“ auf blauem Grund mit goldenen Lettern, darunter ist eine kleine, segnende Christusfigur angebracht. Die beiden seitlichen Nischen sind mit baldachinartigem Vorhangwerk bemalt, um eine Raumwirkung zu erzielen, über den Rundbögen befinden sich je eine architektonische Malerei, deren Gestalt dieselbe ist wie im Altarraum. Die Bemalung des Altarraumes ist ebenso atemberaubend wie prachtvoll und hochwertig – es ist ein großes Glück, dass sich hier solch ein edles Zeugnis historistischer Kirchenausstattung erhalten hat! Die Emporen befinden sich in den Kreuzarmen in Nord, Süd und West und verdeutlichen damit das Verständnis eines lutherischen Zentralbaus. Sie sind leicht ansteigend gestaltet und ruhen auf einer Säule mit rundem, gedrungenem Schaft und schlicht dorischen Kapitell. Diese Säule stützt zwei ziegelverblendete Segmentbögen. Das verputzte Mauerwerk ist floral bemalt und zeigt mittig jeweils eine Darstellung als Büste: Im Norden Martin Luther, im Süden Philipp Melanchthon und im Westen Leopold I. von Anhalt-Dessau, den Begründer der Altener Kirche. Der Orgelprospekt fügt sich zeitlos in den Raum ein und gibt durch seine Gestaltung das Licht des Westfensters frei. Durch die großen Fenster und die hellen Wände ist der Raum hell und freundlich, aber auch erhaben und ernst. Das dunkle Gestühl und die dunklen, holzsichtigen Emporenbrüstungen setzen einen interessanten, dezenten Akzent. Unter den Emporen sind kleine, verglaste und separat nutzbare Räume entstanden. Im Westen befindet sich neben sanitären Anlagen auch eine kleine Küche. Die Melanchthonkirche in Dessau-Alten ist ein prachtvoll ausgestattetes und liebevoll saniertes Bauwerk, welches von einer lebendigen Gemeinde genutzt und jedem Besucher herzlichst zur Besichtigung anempfohlen wird!

Anfahrt

Quellenangaben


Orgelbeitrag erstellt von:

Dateien Bilder Kirche und Orgel: Johannes Richter
Orgelgeschichte: Johannes Richter, eigene Sichtung vor Ort und Informationen eines Faltblattes zur Orgel
Kirchengeschichte: Johannes Richter, eigene Sichtung vor Ort, ergänzt durch Informationen eines Artikels der Mitteldeutschen Zeitung online (3.8.2012)

Youtube-Videos von Johannes Richter auf dem Kanal JRorgel

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